Adi Kohr beendet 12-jährige Durststrecke auf der Langdistanz beim Berlin XL-Triathlon


Schon morgens um 7:00 Uhr sitzt die Frisur

Widerstände und die Kraft aus dem Verein

Am Morgen nach dem Rennen erzählt der 65-jährige Piotre Mehl beim Frühstück mit leicht polnischen Akzent, dass er von seiner Frau nicht unterstützt wurde: "Du klappst doch zusammen", waren ihre Worte. "Das fand ich sehr schade", sagt Piotre. Dafür haben ihn seine Jungs und Leidensgenossen aus seinem Verein vom Tri Sport Lübeck mit Motivation und vielen Tipps unterstützt. Auf dem Weg zu seiner ersten Langdistanz habe er von seinem ganzen Verein viel Unterstützung erfahren, verrät Piotre während er in die Sonne blickt. Der schlanke Rentner mit kurzem Haar schaut kurz zwischen den Bäumen zum See und sagt dann in ganzen ruhigen Worten: "Ich bewege mich gerne, fahre gerne Rad und laufe gerne. Da muss man doch mal so einen langen Wettkampf machen. Das reizt mich einfach - eine Herausforderung, die mir mein Leben versüßt und strukturiert". 

Sein Hamburger Kumpel Christan Hottas, der über 2000 Marathons in seinem Leben gelaufen ist, hat Piotre in seinem Ziel bestärkt. "Mach doch die lange Strecke, du wirst auf dem Weg durch das Training, durch die Jahreszeiten und im Wettkampf so viele Erlebnisse sammeln, die dein Leben bereichern. Willst du etwa auf dem Sofa sitzen oder im Garten alt werden? Dann doch lieber durch die Welt reisen und sich Herausforderungen suchen", so Hottas zu seinem Sportkameraden im Jahr 2016. Nach dieser Unterhaltung meldete sich Piotre an. Adi Kohr, der an diesem Morgen neben Piotre am Tisch sitzt, hat sich auch im Winter für diesen Wettkampf entschieden. Obwohl beide 20 Jahre Altersunterschied trennen, eint die beiden das gestrige Erlebnis beim Berlin XL-Triathlon über die Distanz von 3,8 km Schwimmen, 176 km Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen.

Das Schwimmen
Der Wettkampfmorgen begrüßt die Teilnehmer mit idealen Bedingungen. Der See ist glatt, die Sonne scheint und kurze Hosen sind zu sehen. Nach dem Startschuss setzt sich eine Dreiergruppe vom Feld ab. Mit in dieser Gruppe, Adi Kohr. "Die erste Runde war mir zu langsam, in der zweiten Runde kam der Gedanke auf, dass ich noch nie bei einem Langdistanzrennen als Erster aus dem Wasser gestiegen bin. Dann habe ich attackiert und mich abgesetzt", so Kohr. Nach 59:40 Minuten verlässt Kohr das Wasser und genießt anschließend den Beifall der Zuschauer. "Ja, das ist ein gutes Gefühl, als Erster hinter dem Führungskajak zu schwimmen und als Führender Richtung Wechselzone durch die Zuschauer zu rennen.

Radfahren wie im Rausch
Nach den ersten Radkilometern rutscht Kohr auf Position 3. Die beiden Führenden fahren Kohr einfach zu schnell. Zwischen 5:10 Stunden und 5:20 Stunden möchte Kohr den flachen Rundkurs durch Brandenburgische Dörfer bewältigen. Die Zwischenzeiten auf dem Unterarm sind leider nicht mehr lesbar. Die 26 kilometerlange Anfahrt zu der sechs mal zu durchfahrenden 20,5 Kilometer-Runde wird statt der vorher festgelegten 46 Minuten in weniger als 43 Minuten zurückgelegt. Der Puls ist bei 131 Schlägen, die Beine verrichten die Arbeit ohne Mühe. Bei Kilometer 46 übergibt Teamkollege Eric Rainer, der hervorragende Betreuerdienste  mit seiner Freundin leistet, eine von drei Radflaschen. "Im Vorfeld des Rennens habe ich sehr viel getestet, wie viel Flüssigkeit ich benötige, wie viel Energie ich pro Stunde aufnehmen kann. Eine Flasche mit 0,8 Litern reicht genau für 1:20 Stunde."

Abgeklebter Aerohelm und Salzbrezeln an der Radflasche bei Kilometer 130


Runde um Runde pedaliert Kohr mit gleichmäßigem Druck über den Kurs und wird laut Aussage von Teamkollege Rainer immer schneller. "Wie im Rausch bin ich gefahren. Das Geschwindigkeitsgefühl war so hoch, die Bäume sind so schnell vorbeigezogen, das war unglaublich. Ständig hatte ich 35 bis 38 Kilometer pro Stunde auf der Uhr und die Beine haben gearbeitet wie ein Uhrwerk. Alles ging so leicht . Im Training war das immer anstrengend, so Kohr. Auch die weiteren Runden fährt Kohr mit Puls 133 ab und biegt nach 176 Kilometern in 4:57 Stunden  als 4. in die Wechselzone ein. "Als ich vom Rad abgestiegen bin, hatte ich schon so viel Freude gehabt, dass der nun folgende Marathon nur noch ein Sahnehäubchen werden könnte. Dennoch war ich unschlüssig, ob ich durch die Raserei auf dem Rad die notwendige Mobilität für das Laufen verloren hatte, die mich schon seit Jahren beschäftigt."

Laufen bis zum Umfallen

Bis Kilometer 25  läuft Kohr ein konstantes Tempo und achtet ständig auf eine hohe Schrittfrequenz, um die Mobilität zu erhalten. Bei Kilometer 10 und 15  wird Kohr von zwei weiteren Athleten überholt und fällt auf Platz 5 zurück. Bei Kilometer 28 sackt der Puls in den Keller, die Geschwindigkeit verringert sich auf unter 10 Kilometer pro Stunde. Der Kampf beginnt nun. Der Kampf gegen die eigenen Schmerzen, der Kampf für das eigene Ziel. Was kann ein Mensch mobilisieren, wenn der Körper nicht mehr will?

Kilometer 35

Bei Kilometer 37 schaut Kohr das erste mal auf die Uhr und sieht, dass er es noch unter 10 Stunden schaffen kann, wenn er jetzt noch mal das Tempo auf 12 Kilometer pro Stunde erhöht. Eigentlich kein hohes Tempo, aber nach 9:35 Stunden Wettkampfdauer sehr schwierig. Edelbetreuer Rainer rät Kohr, er solle doch langsam machen, die Zeit wäre doch egal. Aber Kohr erhöht trotzdem das Tempo, so schnell es noch geht. "Ich bin doch ein Athlet, der die kurzen Strecken kann. Ich kann das, habe ich mir gesagt, ich kann es schaffen. "Es ist doch faszinierend, dass man die Schmerzskala nochmal nach oben drehen kann, wenn man ein großes Ziel hat. Man ist dann bereit, umzufallen, nicht anzukommen, man setzt alles auf eine Karte", so Kohr nach dem Rennen. Durch den letzten Willensakt gelingt es Kohr, die vor ihm liegenden Athleten Frank Ellrich und Stefan Bründermann vom Team Erdinger Alkoholfrei noch zu überholen. Damit kämpft sich Kohr völlig unerwartet auf den dritten Gesamtplatz vor.

Nach 10:01,26 Stunden durchläuft Kohr völlig entkräftet das Zielbanner. Lars Koch vom WSV Beverungen belegt nach der Disqualifikation von Philipp Ellert mit 9:40 Stunden den ersten Platz. Der dreißigjährige Stefan Meissner vom Tus Neukölln Berlin finished nach 9:48 Stunden auf Platz 2.

2020 wieder

"Auch wenn die Weltelite nicht am Start war, das war einer meiner besten Wettkämpfe, weil ich von meiner eignen Leistungsfähigkeit und meinem Angriffswillen total überrascht war. 12 Jahre hat es gedauert, bis ich wieder einen sehr guten Langdistanzwettkampf absolvieren konnte. Es gab Zeiten, da habe ich nicht daran geglaubt, je wieder einen schnelle Langdistanz zu finishen. Im Winter 2016 hab ich mich dann entschieden, es noch einmal zu probieren. Insgeheim bin ich froh, dass ich nicht unter 10 Stunden geblieben bin. In drei Jahren werde ich es nämlich schaffen, verrät Kohr liegend auf der Massagebank.
Piotre Mehl erreicht das Ziel am Müggelsee in Berlin nach 12:55 Std und gewinnt seine Altersklasse in der TM 65.

Vor zwei Jahren alle alten Pokale weggeworfen, der neue hat jetzt einen Ehrenplatz





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