Tim in Florida: Mit 9:04h nach Hawaii

Florida Teil I – Der Selbstversuch - oder - Harakiri eines Radfahrers?

(Mehr innovative Plakate von Ritter Sport.)

Eins vorweg: Am 06.11.2010 war das Rennen meines Lebens! Es passte so gut wie alles zusammen: Die Form, die Rennstrategie, die psychische Verfassung und auch die äußeren Bedingungen. Dadurch ist vieles Erlebte gefärbt und sofern hier einmal Unzufriedenheit mit einigen Teilen des Rennens erkennbar wird: Das ist Leiden auf verdammt hohem Niveau!

Why Florida? Of all places?
Was sich aber einige, die um meine Stärken und Schwächen im Triathlon wissen, berechtigt fragen werden ist: Wie kommt ein starker Radfahrer und mittelmäßiger Läufer auf die Idee, auf einem so flachen Kurs, der Läufern und Lutschern zugute kommt, überhaupt anzutreten? Ganz einfach: Es war eine Kurzschlussreaktion nach dem vergeigten Rennen in Regensburg! Da stimmte im Vorfeld alles, nur am Renntag lief von Beginn an nix. So also entschied ich mich dafür, die meiner Meinung nach doch gute Form 2010 noch einmal zu testen. Da aber der Ironman in Arizona erst Ende November stattfindet und ich nicht den kompletten November durch trainieren wollte, fiel die Wahl auf eine Reise nach Panama City, Florida.

Konkurrenz im eigenen Haus
Meinen „Servicemann“ und GodFather des Triathlons im Main-Kinzig-Kreis im Schlepptau ging es so also zusammen mit ca. 70 weiteren verstrahlten Triathleten los Richtung Golf von Mexiko. Eine Woche vor dem Rennen treffen wir ein, genug Zeit um allein wegen der Konkurrenz in der eigenen Reisegruppe so richtig nervös zu werden. Jeder der Gäste von Hannes scheint sich schon mindestens fünf Mal für die Ironman-WM auf Hawaii qualifiziert zu haben. Dagegen nimmt sich meine einzige „Quali“ 2008 so richtig mickrig aus. Trotzdem will ich mich nicht nervös machen lassen und „mein“ Rennen machen. Nach Absprache mit Coach Uwe hatten wir einen Plan zurecht gelegt, der nach 60min fürs schwimmen eine für mich sehr konservative Rennstrategie vorsah. Ich sollte mich auf den ersten 120km der Radstrecke zurückhalten um erst in den letzten eineinhalb Stunden per pedale aufzudrehen. Dadurch sollte ich meine durch den zweiwöchigen Trainingsausfall und die Zerrung Mitte Oktober nicht wirklichen fitten Läuferbeine für einen Marathon um 3:25h schonen. Bloß nicht schneller anlaufen als 4:45min/km! In der Theorie sollte auch so eine Zeit von um 9:15h drin sein. Das hatte 2009 ausgereicht, um sich für Kona zu qualifizieren und „die Quali“ war das Ziel des Trips. So schön sich dieser Plan anhörte, so wenig konnte ich Uwe versprechen, ihn wirklich einzuhalten.

Training auf der Radstrecke –Realitätsschock!
Tief in meinem Innern ist vor Ort aber der schöne Plan des konservativen Herangehens schon nach der ersten Besichtigung der Strecke Makulatur. In Summe kommt man dort über die 180km auf weniger als 400 Höhenmeter. Ich kann bloß auf Wind hoffen, sonst werden mich die lutschenden Läufer schon früh im Rennen stellen. Das Schwimmen dagegen verspricht schön und schaurig zugleich zu werden. Schön, weil der Golf von Mexiko hier selten klares Wasser bietet, in dem man so einige Meeresbewohner beobachten kann. Schaurig, weil das Rennen nicht im Wasser sondern mit einem Sprint vom Strand auf gestartet wird. Nun denn, da müssen alle durch, denke ich positiv. Das Laufen auf dem zwei Mal zu absolvierenden Rundkurs wiederum verspricht Abwechslung. Zwar startet die Strecke vor einer der wenig romantischen Bettenburgen am Strand der Stadt, danach führt sie aber fast idyllisch durch ruhige Wohngebiete und am Ende durch den sehr schönen St. Andrews State Park. Dort müssen wir beim Trainingslauf soger einen Hirsch die Straße vor uns passieren lassen.

Das Wetter, MEIN Wetter!
Hatten wir also Mitte der Woche die Strecken erkundet, so dreht sich ab dem komplett verregneten Mittwoch alles um die Wettervorhersage für den Renntag. So ganz nicht dem Klischee „Florida“ entsprechend werden für Samstag Maximaltemperaturen von 16° Celsius und Frühtemperaturen von um 4°C vorausgesagt. Der so ziemlich einzige Athlet, der sich bei diesen Aussichten richtig freut, scheine ich zu sein. Schon in England 2008 hatte ich bei 12° und Nieselregen ein sehr gutes Rennen absolviert, Kälte ist eben mein Ding. So bessert sich meine Laune zusehends, je näher der Renntag rückt. Wie immer werden routinemäßig die Pastaparty am Donnerstag und der Rad-CheckIn am Freitag abgearbeitet und schon ist der Renntag da.

Race Day!
Wie immer raus um 4:00h, Toast & Bagles mit Marmelade und Nutella! Kaffee darf auch nicht fehlen, dann nix wie auf zum Start! Das Rad will ich noch mit dem Ergomo bestücken, aber leider hat das Ding endgültig seinen Geist aufgegeben, also nix mit wattgesteuertem Rad fahren. Schade. Schnell sind die zwei Stunden bis zum Start vorbei. Obwohl ich wie immer einer der ersten Athleten in der Wechselzone bin, werde ich, auch wie immer, einer der letzten sein, die hektisch zum Start sprinten. Es soll vom Strand aus losgehen, mit einem Sprint an den mit 24 Grad einzig warmen Ort des Tages, den Golf von Mexiko. Die Luft hat vor dem Start ganze 4°Grad. Da ist selbst mir kalt! Die Profis starten um 6:50h von einer Sandbank 50 Meter vor dem eigentlichen Strand. Zum Glück für uns, denn nachdem dieser Start gelaufen ist, rückt die Meute vor. Zunächst bis zu der Sandbank, von der die Profis aus starteten, dann immer weiter. Die wenigen Helfer können die Stampede nicht aufhalten.

Swim 3,86km



Als der Startschuss endlich um 7:00h fällt, stehe ich in dritter Reihe fast 100 Meter vom Strand entfernt schon hüfthoch im Wasser. Das beruhigt mich, denn so fällt der Kräfte raubende Sprint ins Wasser weg. Deshalb geht es für einen Massenstart von 2.700 Athleten ziemlich gesittet zu. Ich halte mich an den Vorsatz, locker zu schwimmen. Hier wird der Slot noch nicht gewonnen. Als die erste der beiden Runden aber nach 28:30min vorbei ist, träume ich kurz von einer Zeit unter einer Stunde, was ich im Ozean nicht für möglich gehalten hätte. Das Schwimmen von Runde zwei ist dann auch schon ohne große Schlägerei nach 59:25min beendet. Leider aber muss ich noch einige Meter durchs seichte Wasser waten und erreiche offiziell nach 1:00:02h das Ufer. Also alles im Plan, der Spaß kann jetzt beginnen!

Daten zum Schwimmen hier: http://connect.garmin.com/activity/56105182

Wechselzone Swim – Bike
Hey, denk ich, warum legen sich alle Leute hier nach dem Schwimmausstieg auf den Strand? Ah, „Wetsuit Pullers“ – Ausziehhelfer für Neoprenanzüge. Wie das funktioniert? Den Reißverschluss des Anzugs öffnen die Athleten auf den Weg aus dem Wasser noch selbst und ziehen ihn bis zu Hüfte runter. Den schwierigen Teil aber übernehmen Helfer: Ich leg mich auf den Teppich, der Helfer reißt mir den Gummi vom Leib. Sehen sehr lustig aus, die vielen schwarzen Käfers, die wie wild am Strand zappeln. Nun denn. Ich schnappe meinen Anzug und verschwinde Richtung Rad. Viele Athleten legen jetzt komplett trockene Kleidung an, teilweise lange Hosen und Windjacken. Ich vertraue meiner Ironman UK-Kombination von Skinfit-Kurzarmshirt, TCSD-Tritop, Armlingen und Handschuhen und nix wie weg. Trotzdem verbringe ich in der elend langen Wechselzone mehr als 5min, was aber im Verhältnis noch recht fix ist.

180km Bike-Spaß – fast
Au Backe! Auch mir ist kalt! Zuerst sogar richtig kalt! Mit nassen Klamotten bei 5° aufs Rad und dann mit 40 Sachen bei Gegenwind die Küstenstraße entlang brettern – nein, das geht nicht ohne Schmerzen. Trotzdem aber komme ich mit der Kälte offensichtlich besser zurecht als die Konkurrenz. 25 Kilometer lang ziehe ich an immer mehr Athleten vorbei und komme langsam auf Betriebstemperatur. Überholt werde ich nie, so soll es sein! Den guten Vorsatz, irgendwie Richtung 4:45h zu fahren hab ich da schon aufgegeben, dafür fühle ich mich zu gut. Das kann nach hinten losgehen, aber soweit denke ich gerade nicht. Zunächst ist an der Küste leichter Seitenwind von Nord-Nord-West, der von Kilometer 12 an direkt ins Gesicht bläst, als es ins Landesinnere geht. Vielleicht aber ist der Gegenwind früh im Rennen gar nicht schlecht, denke ich. So ist es für die Jungs, die ich hier überhole schwerer, dran zu bleiben. Allein bei Kilometer 30 merke ich, dass ich einen Mitfahrer habe. Zunächst mache ich mir nicht viel draus, Kopf runter und Druck auf die Pedale! Als er aber 10km später immer noch da ist, werde ich etwas sauer. Zwar fährt er mehr als regelgerecht, immer mindestens 10 statt der vorgeschriebenen 7m hinter mir, aber irgendwie nervt das. Denn auch in diesem Abstand hat er noch einen veritablen Windschatten und spart Kraft Als ich ihm das verbal zur Kenntnis bringe, stellt sich heraus, dass er weder Englisch noch Deutsch versteht. Er ist Franzose und mein Französisch miserabel. Leider aber schüttelt er den Kopf als ich ihn gestenreich auffordere auch einmal in die Führung zu gehen. So ein Shice, denke ich, denn er ist auch noch in meiner Altersklasse unterwegs und fahre weiter. Etwas später wird es mir zu bunt und ich bremse mal auf der Geraden ab. Da muss er vorbei. Kurz fahre ich in 10 Metern Abstand hinterher, aber er fährt etwa 3-4km/h langsamer als ich eigentlich fahren will. Also entschließe ich mich dazu, eine Attacke zu fahren. Also hole ich Schwung und brettere mit 45 Sachen an ihm vorbei. Wenn er kein Radrennfahrer ist, sollte das reichen. Es reicht leider nicht. Er ist nämlich, wie sich später herausstellt, Amateur-Radrennfahrer und als solcher gar kein schlechter. Auch beim zweiten Mal klappts wieder nicht. Auch nicht beim dritten Mal. Da aber solche Attacken auf die Dauer für mein Rennen, das ja auf eine gleichmäßige Ausdauerleistung ausgelegt ist, kontraproduktiv sind, finde ich mich schlussendlich damit ab, die Lokomotive zu spielen.

Bei Kilometer 55 dann sind die führenden Profifrauen erreicht. Sie werden von einer Gruppe Altersklassenathleten „begleitet“. Tolles Rennen! Die schnelleren Jungs dieser Gruppe wollen dann auf den Zug aufspringen, aber bei Kilometer 65 geben sie das auf. Bis auf meinen französischen Schattenmann natürlich (Auch hier auf dem Bild hat er sich gut versteckt ;-).





Als es dann bei Kilometer 75 einen kleinen Hügel hinauf geht, fährt er auf einmal an mir vorbei. Huch! Kommt wohl aus den Bergen und nicht aus dem Flachland, der Kerl. Da der „Berg“ aber nur 500 Meter lang ist, fahre ich bald wieder vorn, denn in der Ebene ist mir seine Geschwindigkeit wieder zu langsam. Nun denn! Hilft alles nix!

Kurz darauf kommt uns auf einem Hin- und Zurückstück die Spitze des Profirennens entgegen. Da fährt man auch Triathlon-Peloton. Das sind mindestens 10 Jungs, die sich da zusammen die Arbeit teilen. Die gute Nachricht aber ist, dass die so viel schneller als ich gar nicht unterwegs sein können. Schneller als nen 40er Schnitt fahren die also auch nicht! An dieser Stelle kann ich auch meinen „Servicemann“ grüßen, der mit dem Auto hier raus gefahren ist, um zu schreien wie ein Wilder! Er ruft mir zu, dass ich schon auf „Platz 2“ vorgefahren sei. Fragt sich bloß Platz 2 von was? Amateure gesamt, Altersklasse, Titanhobelfahrer, wer weiß? Egal, weiter! Wenig später fahre ich an einem völlig durchgefrorenen Max Longreé vorbei. Der ist aus wärmeren Gefilden hierher angereist und hat sichtlich keinen Spaß mehr!

Am Wendepunkt dann gibt’s Eigenverpflegung. Als ich meinen Beutel schnappe, fährt mein Schatten mal wieder vor. Zum zweiten Mal auf 50km. Super! Ich hole meine Flaschen aus der Tüte, verstaue sie am Rad und ziehe wieder vorbei. A propos Verpflegung: Durch die Temperaturen um 5°C sind meine Gels so zähflüssig wie Powerbars bei 35° und die Powerbars hart wie Stahl. Kauen ist da nicht - sie wie Eis zu lutschen auch keine Alternative. Also wird alle 30min ein halber Riegel unter die Hose geklemmt und nach 15min haben ihn Sonne und Muskeln so weit aufgetaut, dass er halbwegs essbar ist. Auf dem Weg zurück vom Wendepunkt dann sehe ich das, wofür der IM FL eigentlich berüchtigt ist: Das erste größere Peloton! Es sind noch nicht viele, die da dicht an dicht hintereinander fahren, aber ein Dutzend ist es schon. Ich nehme mir die Zeit, mich aufzurichten und ihnen unter Flüchen den Mittelfinger entgegenzuhalten. Vulgär, mir aber egal. So ein Shice, aber ich hätte es besser wissen sollen!

Danach geht das Eisenbahn spielen mit meinem französischen Freund weiter: Mit einigen kurzen Unterbrechungen, immer an leichten Anstiegen, fahre ich vorn. Dann, irgendwann jenseits von Kilometer 110 bremse ich ihn einmal wieder aus und winke ihn vor. Freundlich schaue ich dabei nicht. Jetzt nämlich ist nix mehr mit Rückenwind, wir fahren nach Westen und der Wind steht weiter auf Nord-Nord-West. Hier aber geschieht ein Wunder! Er fährt vor und seine Geschwindigkeit ist nicht wie zuvor 3-4km/h langsamer als während meiner Führungsarbeit. Kann durchaus sein, dass ich dann doch in den letzten zweieinhalb Stunden unseres Ausrittes mehr Kräfte gelassen habe als er. Warum bloß? Nun erfahre ich, was es an Kräfteersparnis bedeutet, auch noch 10 Meter hinter einem Konkurrenten her zu fahren. Mein Puls sinkt bei gleich bleibender Geschwindigkeit um mehr als 15 Schläge ab. Lang aber, es sind vielleicht drei Minuten, bleibt er nicht vorn, aber nun denn. Auch auf diesem 35km langen Gegenwindstück darf ich also fast die gesamte Führungsarbeit machen. Da wir aber stetig von einem Motorrad mit Kampfrichter begleitet werden, muss ich mir wenigstens keine Sorgen machen, dass da jemand direkt an meinem Hinterrad klebt. Auch übernimmt mein Anhänger jetzt noch ein, zwei Mal die Führung. Mittlerweile hab ich mich wirklich damit abgefunden wie das bei uns so läuft. Ich muss zumindest nicht die komplette Arbeit allein machen. Und: Was wir da machen ist immer vollends innerhalb der Regeln, immer mindestens 10 Meter Abstand. Ohne ihn wäre ich wohl vier Stunden komplett allein geradelt und Zuschauer sind hier auch keine an der Strecke. Mein anfänglicher Ärger weicht also langsam einer gewissen Sympathie für den Leidensgenossen, der ja auch nie irgendeine geschriebene Regel verletzt hat. Leidensgenossen eben.

Als es auf Kilometer 135 zugeht, mache ich mir langsam Gedanken über die Gruppen, die hinter uns sicher immer größer werden. Zu meinem Glück aber bläst der Wind weiterhin aus Nord-Nord-West, was auf den letzten 40km stetigen Rückenwind Richtung Küste bedeutet. Gut für mich, denn so kann ich mit dem Wind gen T2 segeln und muss nicht allein gegen Wind ankämpfen. Das nämlich wäre gegenüber den Gruppen hinter mir ein erheblicher Nachteil gewesen. So aber geht’s flott voran und mit dem Wind im Rücken fährt auf einmal mein Schatten vor mir, setzt sich sogar 50 Meter ab. Lass ihn, sag ich mir, denn spätestens auf dem kurzen Wendepunktstück bei Kilometer 150 werden wir uns wieder sehen. So ist es dann auch, denn hier geht es kurz noch mal Richtung Westen und – schwupps – fahre ich wieder vor ihm. Auf dem Weg zurück von diesem Wendepunkt dann gabeln wir zwei Profis auf, die sich an uns festbeißen. Da das ja keine Konkurrenz ist, fluche ich nur kurz, kümmere mich aber nicht weiter. Hin und zurück geht es da insgesamt knapp 6km und auf dem Rückweg sehe ich nur einzelne Athleten, glücklicherweise keine große Gruppe. Also haben die Lutscher mindestens 10min Rückstand. Es besteht also noch Hoffnung!

Nach 15km mit rund 42km/h Richtung Küste, auf denen ich noch mal den Rest meiner festen Nahrung vertilge (insgesamt auf dem Rad sind es 3 PowerBar, 12 PowerGels und trotz der Kälte 5,5 Liter PowerBar-Getränk) biegen wir auf die Küstenstraße ab. Auf diesem Stück übernimmt auch mein Leidensgenosse mal zwischendrin die Führung, zu dieser Zeit wieder mit Argusaugen von unserer privaten Kampfrichterin beobachtet. Auf der Küstenstraße nehme ich bewusst noch mal einen Gang raus. Kurz vor der zweiten Wechselzone dann wünsche ich meinem Schatten trotz allem, ein wenig Arbeit hat er ja auch gemacht, viel Glück für den Marathon.

Nach einer Radzeit von 4:35:39h lande ich mit in T2 an (Bild). Sorry Uwe, es ging nicht langsamer! ;-)



Von den Profis vorn in der Gruppe waren einige ein paar Minütchen schneller, andere langsamer, nun denn. Das Ziel aber, unter den Agies die schnellste Radzeit zu fahren, scheitert. Denn als „Amateuren“ hat eine absolute Granate gemeldet, die eine 4:24h auf den Asphalt brennt. Amateur aber ist der falsche Begriff, denn Damien Favre-Felix tritt auf unserer Seite des Atlantiks als Profi an. Allein für eine Kona-Quali, die er als Pro noch nie geschafft hatte, hat er sich in USA als Agie gemeldet.

Daten zum Rad gibt’s hier: http://connect.garmin.com/activity/56105190

Der Lauf wird zur Qual(i)
Nachdem ich in T2 über meine mit Kinesio-Tape beklebten Waden noch Kompressionssocken gezogen hab – sicher ist sicher, aber hässlich wie die Nacht – geht die Reise ins Unbekannte los! Denn die eigentlich gute Laufform von Anfang September mit einer fast lockeren 36:20min über einen 10er, hat Mitte September einen ordentlichen Dämpfer bekommen. Da lag ich zweieinhalb Wochen flach und als ich halbwegs wieder auf dem Damm war, hatte ich mir beim einem Halbmarathon die rechte Wade gezerrt. In Summe standen also im September und Oktober nur 200km Laufkilometer im Trainingstagebuch. Ausgeruht war ich also in jedem Fall!
Auch wegen dieser Vorgeschichte war der ursprüngliche Plan, 4:30min/km anzulaufen schon länger verworfen. Uwe wollte gar, dass ich 5min/km anlaufe. Das aber bringe ich doch nicht hin und stiefele nach 3km in um 4:35min/km mit ~4:43min/km los. Immer noch ist der Himmel strahlend Blau aber so richtig warm wird es nicht. Vielleicht 14 Grad hat es und es ist windig. Umso besser für mich! Schnell ruft mir der radelnde Supporter zu, ich sei derzeit zweiter Nicht-Profi, der Führende aber auch in meiner Altersklasse unterwegs.
Von Laufkilometer zwei an geht es dann was die Platzierungen anbetrifft rückwärts. Erst kommen nur die drei auf den Zug aufgesprungenen Profis vorbei. Vielen Dank auch! Dann aber bald die direkte Konkurrenz. Die läuft aber in einem Geschwindigkeitsbereich an, der weit über meinen Möglichkeiten liegt, so auf einen Marathon von glatt 3h hin.Gleich der Erste, nennen wir ihn mal Hiob, berichtet beim kurzen Schwatz von seinen Beobachtungen am zweiten Wendepunkt. Die sind niederschmetternd: Eine riesengroße Gruppe von 40-50 Mann hatte da nur 10min Rückstand auf ihn. Tolle Aussichten, aber ich bin wenigstens gewarnt, nicht nachzulassen. Dafür bin ich dann 500m weiter so freundlich, ihn, als er falsch abbiegt, zurück auf den in diesem Fall linken Weg zu rufen. Auf der Laufstrecke ist es zu diesem Zeitpunkt noch so richtig leer, keine Athleten weit & breit, die wenigen Zuschauer noch nicht da. Man muss schon an den Kreuzungen im Wohngebiet genau schauen, wo es lang geht. Nicht jede ist mit Helfern besetzt. Als es dann Richtung St. Andrews State Park geht sind schon 8km rum. Hier ist dann wieder mein Megafon auf zwei Rädern unterwegs und ich lasse mich zu einer für seine Ohren sehr riskanten Aussage hinreißen. Wie schon in England 2008 habe ich von Beginn der Laufstrecke an das Gefühl, dass heute einfach alles glatt geht. Ich rufe ihm also zu, dass ich das Ding jetzt in diesem Stiefel durchlaufen werde, dass nix mehr anbrennt! Er guckt schockiert und ungläubig, fühlen sich doch zu diesem Zeitpunkt im Marathon eigentlich noch alle Athleten recht gut. Der denkt sicher, ich hab sie nicht alle. Die Runde durch den Park dann ist recht einsam, allein die beiden Verpflegungsstationen bereiten Abwechslung. Wie bei der Trainingsrunde steht dann mitten im Park auf einmal ein Reh auf der Straße. Unglaublich!

Nach der Parkrunde geht’s dann fast denselben Weg zurück zu T2. Immer wieder piept die Auto-Lap-Funktion des Garmin und mal stehen für den Kilometer 4:42min, mal 4:44min drauf. Alles läuft also nach Plan. Die Halbmarathonmarke dann passiere ich völlig im Soll nach 1:38:40h, also mit Kurs sub 3:20h. Und da kommt zum ersten Mal der Gedanke, dass es trotz der verdammt langen Wechselzonen vielleicht doch was werden könnte mit einer Zeit von unter neun Stunden. So ganz auf der Höhe sind meine Kopfrechenkünste nicht mehr, aber mir ist schon klar, dass ich einen negativen Split hinlegen müsste, um das noch zu schaffen. Das aber würde das Risiko bergen, zu früh ans Limit zu kommen, doch noch zu platzen. Also lasse ich es sein. Außerdem hab ich gelesen, dass man Leute, die ihre "sub9" in Florida gemacht haben, sowieso nicht ernst nehmen kann. Also wäre das ja eh nix wert! Lassen wir das also.

An der Eigenverpflegung beim Halbmarathon wird trotzdem ein Strategiewechsel in Sachen Ernährung vollzogen: Nix mehr mit „PowerBar – Power to Push“, ab jetzt verleiht RedBull Flügel. Danach werden an den Verpflegungsstationen noch Cola und koffeinhaltige Gels verdrückt, das muss reichen.

Ich stiefele also weiter stur 4:45er Schnitt. Leider ist die Strecke jetzt viel voller als auf Runde eins, das bedeutet Slalom durch menschliche Stangen. Meine Hoffnung allerdings, dass irgendwer, der 1:40h hinter mir vom Rad gestiegen ist, so verrückt ist, Richtung 3:20h anzulaufen, erfüllt sich nicht. Schade, hätte ich mich ja noch mal vor dem schon veritablen Westwind verstecken können. Auf dem Weg zum Park überholen mich noch zwei Jungs, aber die sind in einer anderen AK unterwegs. Also keine Panik, es sieht noch alles gut aus! Vor der zweiten Runde durch den Park fangen die Oberschenkel richtig an zu brennen. Geht das hier doch noch schief? Also Eis in die Hose kippen und Zähne zusammenbeißen. Hier hinten erweist sich ein Tipp von Uwe als Gold wert: Er meinte, ich solle mir für harte Zeiten auf dem Rad und beim Lauf positive Erinnerungen zurechtlegen. Also hatte ich schon das Rad mit Positivem zur, sorry, Selbstverarschung, beklebt. Seine Ansage aber, dass ich, sofern ich auf Runde zwo im Park noch Reserven spüre, „Feuer!“ geben soll, setzt noch mal Energien frei. Da geht noch was! Waren die letzten drei Kilometer erstmals langsamer als 4:45min, fühlt es sich auf einmal wieder schneller an. Subjektiv renne ich sub 4min/km, objektiv bin ich aber gerade in der Lage die 4:45min zu halten. Aber: Es sind bloß noch 10km. Nur noch einmal vom Holbeinsteg nach hause. Das schaffen wir auch noch. Auf dem Weg durch das idyllische Wohngebiet zwischen km 35 und 37 werde ich dann ein letztes Mal von einem AK-Konkurrenten überholt. Er fliegt förmlich vorbei. Am Ende hat er eine 3:04h für den Marathon stehen. Da kann ich nicht, da will ich nicht mit!

Bei Kilometer 37 dann geht’s ab in den totalen Tunnel. Obwohl sich mein menschliches Megafon so richtig ins Zeug legt, zeige ich keine Reaktion mehr. Ich denke, man sieht, warum *klick* aufs Foto.




Direkt am Abzweig Richtung Ziel überhole ich dann doch zum ersten und einzigen Mal auf der Laufstrecke. Da ich nicht weiß, wie schlecht es Brad gerade geht – er wird für die letzten 500m fast fünf Minuten brauchen - nehme ich noch mal die Beine in die Hand und renne. Nach 200 Metern schaue ich zurück und er ist weg. Eigentlich habe ich Zeit, den Zieleinlauf zu genießen, aber da fällt mein Blick auf meine Laufzeit. Da steht was von 3:19:25h und es ist nicht mehr weit! Unter 3:20h zu laufen wäre doch was. Also Geschwindigkeit halten und Augen zu. Nach handgestoppten 3:19:58h für den Marathon, hier die Garmindaten zum Lauf: http://connect.garmin.com/activity/56105197, überquere ich die Ziellinie - Gesamtzeit knapp über 9:04h, (offizielle Splits: Swim 1:00:02 – T1 5:08min – Bike 4:35:39 – T2 3:12min – Run 3:20:03h.) Warum auf dem Zielfoto 9:14h stehen und man mich bloß von hinten sieht? Da steht noch die Zeit der Profis, die 10min vor uns gestartet waren und das Foto von vorn war so schlecht, ich die $ 20 nicht hab ausgeben wollen!




Hammer!
Im Ziel werde ich sofort von meiner One-Man-Support-Crew geherzt, die sichtlich begeistert ist. Ich dagegen bin einfach nur fassungslos. Heute hat wirklich alles geklappt. Na ja, fast alles, denn direkt nach dem Zieleinlauf sehe ich meinen französischen Schattenmann schon Pizza essen. Er hat mich schon in T2 überholt und ist knapp zweieinhalb Minuten vor mir ins Ziel gekommen. Aber irgendwie kann ich ihm gar nicht böse sein, freue mich sogar für ihn. Und: er freut sich sichtlich riesig für mich, denn als 6. der AK hat es auch für mich mit einem Slot geklappt. Er gratuliert mir sehr herzlich und bedankt sich überschwänglich. Wir werden dann auf der Awards-Party mit einem Bierchen anstoßen, wo trotz allem ich ein wenig neidisch auf seinen Pokal für den 4. Platz gucke.

Wer übrigens wissen will, warum ich auch bei 5-10 Grad Außentemperatur allein auf der Radstrecke immer noch 5,5l getruknen habe, werfe einen Blick auf meine Trishort, die nach dem Rennen doch glatt von allein aufrecht stehend einen Blick auf den Golf von Mexiko werfen konnte:





Versöhnlicher Saisonabschluss
Mit diesem Rennen ist dann 2010 doch noch sportlich gut ausgegangen und das vergeigte Rennen in Regensburg ad acta gelegt. Die Grobplanung für 2011 steht auch, am 08.10.2011 darf ich wieder mit den schnellen Jungs spielen. Denn am Tag nach dem Rennen stand ich wieder mal mit grenzdebilem Grinsen im Gesicht im Orgazelt und hab von meinem Kreditkartenkonto eine unverschämt hohe Summe abbuchen lassen. Dazu aber und zu den sonstigen Randerscheinungen eines IM auf dem US-amerikanischen Festland gibt's demnächst einen separaten Bericht im redaktionellen TEil von http://www.triathlon-szene.de/.

Abschließend noch mal ein riesengroßes Dankeschön für den besten Support der Welt vor Ort, der leider auch meine etwas angespannte Vorwettkampflaune hat ertragen müssen (Teambild unten). Danke auch an die anderen guten Wünsche vor dem Rennen und Glückwünsche danach und besonders Uwe, der sich meiner nach dem verkorksten Rennen in Regensburg angenommen hat und den Taper für das Rennen offensichtlich erheblich besser hinbekommen hat als ich selbst.


Tim

Weitere Bilder gibt's hier: http://picasaweb.google.com/timule/IMFLPicasa#


Thanx

Tim

3 Kommentare:

  1. Hey Tim, ein absolut geniale Leistung und ein sehr guter Artikel ! Chapeau ! Da bekam ich selbst beim Lesen eine Gänsehaut.

    Ich wünsche dir viel Erfolg weiterhin und freue mich von Dir zu lesen und mich durch deinen Berichte anspornen zu lassen.

    Congrats, FloJu1

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  2. He Tim, mit Vergnügen hab ich Deinen Bericht gelesen. Super! Gratulation! Und das bei der Kälte! Ich wünsch Dir in Hawaii auch solche Themperaturen.
    Egmont

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  3. Hi Tim,
    herzlichen Glueckwunsch zur Kona Qualifikation 2011, und einem fantastischen Rennergebnis in Florida!!!
    Good luck, und Gruesse aus San Diego,
    Flo

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